Änderung der Geschäftsordnung

Besondere Anwendung der Geschäftsordnung aufgrund der allgemeinen Beeinträchtigung durch COVID-19

So lautet der Titel des Top 3 des Deutschen Bundestages, welcher am 25.03.2020 ab 13:55Uhr verhandelt werden soll. Als Fraktionsfreier Abgeordneter bin ich es seit über zwei Jahren gewöhnt, mich im Selbststudium und oft nur nur mit ganz kurzer Vorbereitungszeit in Sachthemen einzuarbeiten, denn viel zu häufig werden Drucksachen für den Folgesitzungstag erst am Vorabend um 22:00Uhr veröffentlicht.

Corona hingegen macht alles anders und auch wenn wir uns zweifellos in einer nie dagewesenen Ausnahmesituation befinden, die Drucksache für die geplanten Änderungen und „besonderen Anwendungen“ der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sind jetzt, Stand 25.03.2020 zu 10:30Uhr nicht verfügbar. Laut Ausschussekretariat erst heute morgen im Ausschuss abgestimmt und gerade eben an den Parlamentsdienst übergeben, war eine Vorabzusendung an mich, der ich ja wie alle anderen fünf Fraktionsfreien keinen Vertreter im Ältestenrat habe, nicht möglich.

Natürlich habe ich viel Verständnis, dass ein zügiger Ablauf des Parlamentsbetriebes auch eines gewissen Pragmatismus bedarf, gleichwohl ist die gesetzgebende Instanz unseres Rechtsstaates jederzeit aufgefordert, selbst korrekt und angemessen zu handeln. Wie schon bei der Abstimmung über die Organspende fallen die Fraktionsfreien dabei aber hinten runter, obwohl gerade diese das freie Mandat so unabhängig ausüben, wie es das Grundgesetz einmal vorsah.

Es ist also aktuell unbekannt, was nachher alles beschlossen werden soll, welche Änderungen greifen, wie lange sie greifen uvm.

Durchgesickert sind Pläne, die Beschlussfähigkeit des Parlaments von 50% auf 25% der 709 Parlamentarier zu reduzieren. Gerade diese Frage birgt Potenzial für erhebliche Verschiebungen im Rahmen unserer Gesetzgebung und ist schon aus dem Bauch heraus abzulehnen. Pragmatisch wäre es indes, wenn die einzelnen Fraktionen aufgrund der Besonderheiten der Corona-Situation auf Kindergartenspiele wie Hammelsprünge usw. verzichten würden. Wenn in der Zeit, in der unser gesellschaftliches Leben erheblich durch die Pandemie eingeschränkt ist, auch nur noch Gesetze behandelt werden, die jetzt zwingend erforderlich sind.

Man könnte jetzt beweisen, dass man über Parteigrenzen hinweg rational, angemessen und fair miteinander umgeht, denn dieser Tage geht es nicht um wahltaktische Spielchen und Positionierungen, sondern um Existenzen, Gesundheit und Leben unserer Bürger.

Nachtrag:

Kurz nach 12Uhr, also knapp 2h bevor die avisierten Änderungen übrigens ohne Debatte im Bundestag beschlossen werden sollen, habe ich das pdf nun auf dem Tisch. Die Mutmaßungen bestätigen sich, ab sofort soll also der Bundestag bei Anwesenheit von nur noch 25% der Parlamentarier beschlussfähig sein. Der einzufügende §126a soll seine Gültigkeit bis zum 30.09.2020 behalten, danach wäre alles wieder wie vorher.
„Achtung!“ will man da sofort wieder rufen, denn dieser Zeitraum beinhaltet satte 8 Sitzungswochen, also ein Drittel des gesamten Jahresitzungszeitraumes, die nunmehr ein riesiges Potenzial bieten, viele kreative Gesetzesänderungen oder Neuvorlagen mit einem Minimum an parlamentarischen Mehrheiten durchzubringen. Erfolgt das Ganze auch weiterhin mit Drucksachen, die erst unmittelbar vorher veröffentlicht werden, gibt es weder angemessene öffentliche noch parlamentarische Debatten.
Man muss wahrlich keinen Aluhut tragen, um die Sorgen, die im Zuge dieser Änderungen auftreten, ernst zu nehmen. Denn viel zu oft haben die Parteien, die sich mittlerweile weit vom freien Mandat entfernt haben, gezeigt, dass sie sich derartige Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Augen auf, liebe Bürger!