Ein Held zu sein bedeutet: über sich selbst hinauszuwachsen und etwas zu tun, was kein anderer getan hat. Die Bundesregierung hat das Wort Held jetzt neu entdeckt. In einer Werbekampagne lobt sie „besondere Helden“. Gemeint sind die Helden des Coronawinters 2020, die nun als greise Senioren von ihren „Abenteuern“ erzählen. Anton Lehmann erinnert sich – ähnlich wie ein Augenzeuge aus einer Guido-Knopp-Sendung – wie er das gefährliche Virus bekämpfte, indem er zuhause herumgammelte. In einem zweiten Clip ist seine asiatische Freundin dran, die ganz ähnliche Erinnerungen teilt. In einem dritten Video stellt sich ein dritter Herr vor, der mit 20 als „fauler Tobi“ galt, weil er den ganzen Tag nur Computerspiele zockte und kalte Büchsenravioli aß, weil er sogar zum Aufwärmen zu faul war. Auch er gilt nun als Corona-Held, weil sein Fernbleiben Dienst an der Gesellschaft war.
Die ganze Sache kommt ironisch rüber, möglicherweise soll sie das sogar. Früher erzählte Opa vom Krieg, heute von Corona, einer der Corona-Veteranen hat sogar einen Orden bekommen. Auch das Vokabular erinnert an Weltkriegserzählungen. Es erinnert alles an den locker-flockigen Zeitgeist von Jung und Matt: Pathos wird hier der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Bundesregierung macht auf „heute show“ – und das leider im schlechtesten Sinne.
Was als einmaliger Sketch vielleicht funktioniert, verkommt bei der dritten wiederholten Pointe nicht nur zum Rohrkrepierer, sondern es wird auch zum Hohn für all jene Zuschauer, die eben nicht das Glück haben, dass ihr größtes Problem aus Freizeitbewältigung besteht. Eltern müssen Kinder zu Hause betreuen, weil Kitas und Kindergärten wegen Coronafällen unter Quarantäne stehen. Der Gastronom, der sein Restaurant dichtmachen musste und nicht mehr weiß, wie er die Miete decken soll, würde sich wünschen, er könne wie der „faule Tobi“ seine Probleme einfach wegzocken.
Es gibt also eine ganze Reihe von Menschen, für die das Leben durch Corona nicht entspannter, sondern unruhiger geworden ist. Dazu zählen auch Studenten, die hier wohl als Zielgruppe mitgemeint sind und alle Mühen hatten, zusammen mit Dozenten die digitale Brücke nach Hause zu bauen. Hier war es die Regierung, die wie Anton „faul wie die Waschbären“ auf ihrem „Arsch“ lag und diese jungen Leute im Stich ließ.
Was uns gezeigt wird, ist der Blick einer privilegierten Schicht auf das einfache Volk. Wenn sie keine Arbeit haben, sollen sie doch faulenzen! Die Spots zeigen mangelnde Empathie für einen Gutteil der Menschen, die am Rande der Existenz leben und sich derzeit wie noch darum sorgen müssen. Was augenzwinkernd gemeint war, wirkt augenöffnend für diejenigen, die sich schon lange nicht mehr durch die Politik irgendeiner Partei repräsentiert fühlen – weil die Etablierten nichts vom Alltag wissen und von der Lebensrealität der Steuerzahler völlig entkoppelt sind.
In den sozialen Netzwerken gibt es bereits jetzt schon eine Diskussion über die Videos, bei der Kritiker aus allen politischen Lagern beteiligt sind, weil sie sich veralbert fühlen. Nicht zuletzt, weil die Publikumsbeschimpfung auf Steuerzahlerkosten stattfindet.
Wie viel uns der Spaß gekostet hat? Wissen wir bald. Meine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung ist bereits raus.